Wie die Singularity University das große Denken verkauft

Think big and act big
Think big and act big

Auf der Website der Singularity University steht „Preparing Global Leaders & Organizations for the Future“. Dabei ist die Singularity University keine „echte“ Universität im klassischen Sinne. Die SU versteht sich vielmehr als globale Community und ist mit verschiedenen Projekten und Initiativen in fast 130 Ländern aktiv.

Was ist die „Singularity University“?

Das private Unternehmen kommt aus dem Silicon Valley und ist dort am „Nasa Research Park Campus“ beheimatet.

Die Singularity University möchte den Lauf der Geschichte verändern

Die Singularity University hat (laut eigener Aussage) das Ziel die größten Herausforderungen der Welt anzugehen und eine bessere Zukunft für alle aufzubauen. Konkret sieht die SU insg. 12 „Global Grand Challenges“ und meint damit die ganz großen Meta-Themen: Von „Energy“ über „Health“ bis zu „Learning“.

Was ist eigentlich die Singularity?

Der Begriff „Singularity“ beschreibt einen Zeitpunkt in der Zukunft. Ab diesem Zeitpunkt können Maschinen durch künstliche Intelligenz eigenständig lernen und sich selbst weiterentwickeln.

Grundlage hierfür ist die Annahme, dass sich sowohl die Technologie als auch die Wissenschaft exponentiell weiterentwickeln. Der bekannteste Vertreter der Singularity-Theorie ist Ray Kurzweil. Er versteht unter der Singularity …

„… den Zeitraum, in der technologische Veränderungen so rasch ablaufen und ihre Wirkung so tief greifen, dass sie das menschliche Leben unwiderruflich verändern.“

Ray Kurzweil, Der Mensch: Version 2.0

Darüber hinaus geht Kurzweil davon aus, dass es Menschen zukünftig möglich sein wird, ihre biologische Struktur zu verändern, so dass es zu einer „Verschmelzung“ von Mensch und Maschine kommt.

Ihr kennt vermutlich die berühmte Grafik, die das Prinzip der Singularity visualisiert:

Die Grafik zur "Singularity"
Die Grafik zur „Singularity“

Zusammengefasst unter dem Begriff „Trans-Human“ glaubt Kurzweil weiterhin, dass es in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein wird, das menschliche Gehirn am Computer nachzubilden. Letztlich bedeutet das auch, dass Menschen ihr Wissen dort auslagern können und somit unsterblich werden.

Info-Box: Wer ist Ray Kurzweil?

Ray Kurzweil ist mittlerweile 71 Jahr alt – und hat es zu seiner Lebensaufgabe gemacht, über Technologie nachzudenken.
Er ist Gründer der SU, Autor, Erfinder, Futurist und „Director of Engineering“ bei Google. Kurzweil hat 19 Ehrendoktorwürden erhalten, den Flachbett-Scanner erfunden, den ersten Sprach-Synthesizer und hält viele weiterer Patente. Ray Kurzweil aber hat auch eine Mission: Er möchte den Tod besiegen und glaubt daran, dass dies der Menschheit in diesem Jahrhundert gelingen wird.

Die Idee der Singularität klingt auf den ersten Blick verrückt

Doch wenn man sich die Entwicklung in den letzten Jahrzehnten anschaut, dann ist das gar nicht mehr so abgedreht. Ein viel zitiertes und durch das „Mooresche Gesetz“ sehr bekanntes Beispiel: Ein Prozessor aus dem Jahr 2014 besitzt 32 Millionen Mal mehr Rechenleistung als der erste Intel-Chip aus dem Jahr 1971. Exponentiell eben.

Und eine immer schnellere Rechenleistung ist eigentlich nur die Basis für viele weitere Entwicklungen: Biotechnologie oder Gentechnik. Die größten Veränderungen werden sich vermutlich in den nächsten Jahren hier abspielen.

Im Zentrum steht das exponentielle Denken

Die Singularity University stellt die exponentielle Entwicklung von Technologien in den Mittelpunkt ihres gesamten Wirkens.

Diese Entwicklung ist für die meisten Menschen nur schwer nachvollziehbar. Der Grund dafür liegt in der Historie: Die vergangenen 100 .000 Jahre Geschichte verliefen eher lokal und (aus heutiger Sicht betrachtet) linear.

„Unser Denken ist linear – wir sind umgeben von linearen Prozessen“

Pascal Finette, Vice President der Singularity University, t3n.de

Kurzweil hat ein weiteres Beispiel für die exponentielle Entwicklung: Wer 30 lineare Schritte macht, legt 30 Meter zurück. Wer 30 exponentielle Schritte macht, legt eine Milliarde Meter zurück.

Hinweise für das exponentielle Wachstum gibt es viele. Im Buch „The Singularity is Near“ (Amazon) beschreibt Kurzweil viele Bereiche (von Gehirnscans bis Biotechnologie), die den exponentiellen Fortschritt belegen sollen.

The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology, 
Ray Kurzweil, 2006
The Singularity Is Near: When Humans Transcend Biology, Ray Kurzweil, 2006

Schaut man auf Apples Siri oder Amazon Alexa begegnet man einem weiteren Phänomen: Die Anfänge sind meist enttäuschend. Doch schon bald werden diese Assistenten sehr große Fortschritte machen.

„Siri ist fünf Jahre alt und sie ist selbstlernend. Und sie wird exponentiell besser. Man kann das ausrechnen: In sieben Jahren wird sie 128 mal besser sein als heute – in fünf Jahren kann sie Gespräche führen wie ein Mensch.“

Pascal Finette, Vice President der Singularity University, t3n.de

Allerdings ist künstliche Intelligenz natürlich nicht unbedingt nur eine Frage der Rechenleistung, sondern vor allem auch Frage der Algorithmen.

Viel Show und nichts dahinter?

Da ich nie auf der SU war bzw. an keinem der Kurse teilgenommen habe, kann ich mir keine wirkliche Meinung erlauben. Es fühlt sich jedoch so an, dass die SU sich eher oberflächlich mit Trends wie KI, Robotik oder Virtual Reality befasst.

Vermutlich nehmen die meisten wohl eher teil, um zu netzwerken, sich inspirieren zu lassen und neue Denkanstöße zu bekommen. Und um dann einem vermeintlich elitären Kreis anzugehören – den Singularity-Alumni.

So geht wohl weniger darum, tatsächlich etwas über den Einsatz neuer Technologien zu lernen. Die SU lebt von grandiosen Speakern und einer tollen Atmosphäre. Mit den richtigen Büchern und Websites kann sich jeder (deutlich tiefer) mit den Inhalten beschäftigen. Dennoch kostet ein einwöchiger Kurs etwa 15.000 USD – irgendwie ist die SU eine etwas komische Mischung aus Hippietum und Kapitalismus. Daher senden letztlich auch eher Unternehmen wie SAP oder Lufthansa ausgewählte Mitarbeiter zur SU. Kleinere Unternehmen werden sich das nicht leisten können.

Auch in Deutschland gab es bis zu diesem Jahr das sogn. „Germany Summit“ in Berlin. Dieses wird nun jedoch wieder eingestellt – das Programm blieb hinter den Erwartungen der SU zurück.

Warum sich die Deutschen mit dem „großen Denken“ so schwer tun

Für die SU ist die Ablösung des linearen Denkens durch exponentielles Denken die Voraussetzung, um die großen Menschheitsprobleme anzugehen.

Immer frei nach dem Motto: „Think big and act big„.

in Zeiten der Digitalisierung trifft die Idee der SU auch in Deutschland einen Nerv. Und auch im Sinne von New Work hat die SU eine Daseinsberechtigung: Die SU verspricht, dass alles einem größeren ganzen passt und spricht damit Menschen an, die nach einem Ziel, einem Sinn in ihrer Arbeit suchen.

Murks in Germany, DER SPIEGEL

Allerdings lässt sich das Konzept der SU scheinbar nicht unbedingt so auf Deutschland übertragen. Ich glaube in Deutschland sind viele Manager deutlich praxisorientierter als in den USA. Die Teilnehmer in Deutschland erwarten konkreten Input für das Geld. Aus den Workshops sollen konkrete Lösungsansätze und Ideen für die Umsetzung resultieren. Für Visionen, Motivations-Talk und Inspiration werden hier vermutlich keine so hohen Budgets freigegeben – was wohl auch der Grund ist, warum die SU in Deutschland bisher nicht so gut funktioniert hat.

Ich denke, dass wir in Deutschland allerdings durchaus mehr das „große Denken“ benötigen. Wir verlieren uns viel zu viel im „Klein-Klein„. Noch immer nerven Funklöcher, die Verwaltung arbeitet wie im 20. Jahrhundert, Schulen sind unterversorgt mit WLAN und Laptops, die Energiewende ist Murks.

Das sind dann vielleicht (anstatt der 12 Global Grand Challenges der SU) die „5 German Grand Challenges“.

Hierfür braucht es Menschen, die „groß“ denken können und gleichzeitig aber genug Sinn für die Praxis und die Umsetzung haben. Das beste aus beiden Welten also.

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