Schwächen schwächen? Unsinn!

Stärken stärken, Schwächen schwächen
Stärken stärken, Schwächen schwächen

Jeder kennt den Spruch „Stärken stärken, Schwächen schwächen“. Er findet sich seit Jahrzehnten in all diesen Ratgebern für mehr Erfolg im Leben und im Job. Nicht ohne Grund. Denn wer die eigenen Stärken kennt, nutzt und ausbaut, der lebt wirklich häufig glücklicher, gesünder und hat weniger Stress.
Doch so wie jeder Stärken hat, so hat auch jeder Schwächen. Wie sollte man mit diesen Schwächen umgehen? Und ist es wirklich notwendig die eigenen Schwächen zu schwächen? Aus meiner Sicht ist das oft die falsche Herangehensweise. Denn unser größtes Entwicklungspotential liegt NICHT in der Abschwächung von Schwächen.

Das Problem mit dem „Stärken stärken, Schwächen schwächen“ ist laut dem Forscher Alex Linley (LinkedIn Profil), dass rund zwei Drittel der Menschen ihre Stärken gar nicht kennen.
Ein Grund warum sich viele ihrer eigenen Stärken nicht bewusst sind, ist, dass seit dem Kindesalter eher der Blick für die Schwächen und Defizite geschärft wurde: Ich bin nicht gut in Mathe, bin nicht musikalisch, bin nicht besonders geschickt.

Der Wissenschaftler David Myers hat herausgefunden, dass auf jede Publikation über positive Empfindungen (Freude, Glück, Stärkenfokus, …) ganze 21 Arbeiten über negative Erfahrungen (Traurigkeit, Angst, …) kommen.

Dabei ist es natürlich ganz normal, dass man in vielen Dingen nicht gut ist. Man kann schließlich nicht in allem gut sein. Niemand ist das.

Die Dinge, in denen man selber gut ist, die fallen einem häufig gar nicht auf. Und die, die ihre Stärken zu kennen glauben, verschätzen sich häufig. Denn Stärken sind nicht nur das, was wir gut können.

New Work und die eigenen Stärken

In Bezug auf die Arbeitswelt ist es natürlich immens wichtig die eigenen Stärken zu kennen und zu nutzen. Der vielleicht wichtigste Grund: Mehr Spaß bei der Arbeit. Nur wer wirklich Spaß an seinem Job hat, hat auch Erfolg und ist gut in dem was er tut.

Es gibt keine Naturtalente

Der Begriff „Talent“ erscheint als etwas absolutes. Entweder man hat Talent. Oder man hat eben kein Talent.

Doch das ist falsch. Das Gehirn (auch das von Erwachsenen) verändert sich pausenlos. Durch gezieltes Üben, Lernen und Trainieren können neue Begabungen entwickelt oder gefördert werden. Das Phänomen Naturtalent gibt es nicht.

Wer vermeintlich eines ist, hat dies vor allem mit sehr viel Üben, einer starken Neugierde und vermutlich auch viel Ausprobieren zu verdanken.

Bill Gates hatte tausende Stunden programmiert, bevor er Windows entwickelte.

J.K. Rowling schrieb ihr erstes Buch „Rabbit“ im Alter von sechs Jahren. Als ihr die Idee zu Harry Potter kam, hatte sie vermutlich sehr viele Tage und Nächte vor allem eines gemacht: Bücher geschrieben.

Übung macht den Meister. Wichtig ist nur, dass man gern macht, was man macht. Und das gilt nunmal vor allem für die eigenen Stärken. So passt sich unser Gehirn strukturell jeweils den Tätigkeiten an, die wir am liebsten und am häufigsten machen.

Dieser Prozess beginnt bereits als Embryo und endet erst mit dem Tod.

Was sind die eigenen Stärken?

Laut dem Forscher Linley sind Stärken zum einen die Dinge, die uns leicht fallen. Das ist vermutlich wenig überraschend. Doch vor allem sind Stärken auch Handlungen und Denkweisen, die mit unserem „echten Selbst“ verbunden sind. Das klingt nun sehr esoterisch – hat damit aber aus meiner Sicht nichts zu tun. So sind Stärken vor allem Handlungen oder auch Gedanken, die mehr Energie geben als rauben – weil sie zu mir und meiner Identität passen.

Wichtig ist zu verstehen, dass erlerntes Verhalten damit nicht unbedingt eine Stärke ist. Zumindest dann nicht, wenn diese Tätigkeit mehr Energie nimmt als gibt.

Wie kann man nun aber die eigenen Stärken identifizieren? Um die eigenen Stärken herauszufinden, gibt es viele Wege. Man kann sich beispielsweise folgendes fragen:

  • Was mache ich gerne?
  • Was macht mir Freude?
  • Auf was freue ich mich in den nächsten Tagen/Wochen?

Darüber hinaus kann man natürlich auch einen Stärkentest machen. Wirklich ernst zu nehmende gibt es nicht so viele. Die wohl besten und bekanntesten sind der des VIA-Instituts oder der von Gallup. Leider kosten beide Tests Geld und sind (verständlicherweise) nicht mal eben gemacht.

Grundlegend gilt, dass Stärken immer relativ sind. Bei der Entwicklung von Stärken kommt der so genannte Fischteicheffekt zum tragen. So entwickeln sich Mitarbeiter meist dann besser, wenn ihre Stärken im Vergleich zu anderen klarer und deutlicher ausgeprägt sind. Es ist also besser, ein großer Fisch in einem kleinen Teich zu sein als ein kleiner in einem großen.

Info-Box: Was ist „Positive Psychologie“?

Die so genannte „Positive Psychologie“ widmet sich den Stärken des menschlichen Gemüts und untersucht, was Menschen zufrieden macht. Das Credo: Glück ist erlernbar.

Dabei wird die Positive Psychologie häufig kritisch betrachtet. Ein Vorwurf ist, dass es mehr Ideologie als Wissenschaft ist. Eine andere Kritik bezieht sich darauf, dass es hier vor allem um das Individuum geht. Äußere und gesellschaftliche Faktoren des Glücks kommen bei der Positiven Psychologie nicht wirklich vor.
Und dennoch. Wer seinen Charakter optimiert, der kann zufriedener leben und besser arbeiten. Statt die Defekte zu thematisieren, setzt die Positive Psychologie bei den Stärken an.
Das Ziel von Unternehmen sollte es somit (im Sinne der Positiven Psychologie) sein, die Firma zu einem Ort zu machen, an dem Rahmenbedingungen herrschen, die die Stärken der Mitarbeiter optimal zum Tragen kommen lassen. Denn höhere Zufriedenheit bei der Arbeit führt zu höherer Leistung und letztlich zu mehr Gewinn.

Was ist nun mit den eigenen Schwächen?

Stärken werden häufig als gegeben hingenommen („ich bin halt gut im Organisieren“). Dagegen werden Schwächen meist als leicht veränderbar angesehen.

Aus meiner Sicht sollten die Schwächen aber zunächst auch als Schwächen verstanden werden. Aus den allermeisten Schwächen werden vermutlich nie Stärken. Daher ist es sinnvoll – sofern möglich – die Schwächen „wegzudelegieren“ bzw. die Tätigkeiten aufzuteilen. Derjenige, der sich gerne mit Excel und Zahlen beschäftigt, der übernimmt die Aufgabe. Der, der sich gerne mit Präsentationen und inhaltlichen Herausforderungen beschäftigt, der übernimmt eben eher diese Aufgabe.
Leider ist es häufig so, dass dies in Unternehmen so nicht gelebt wird bzw. Mitarbeiter nicht nach ihren Stärken eingesetzt werden. Jemand, der beispielsweise „Marketing Manager“ ist, der muss all die Dinge tun können, die auch die anderen 12 „Marketing Manager“ in der Abteilung können. In der Realität macht das natürlich so keinen Sinn, nicht jeder hat die gleichen Stärken – auch nicht, wenn man den vermeintlich gleichen Job macht.

Und was hat das mit New Work zu tun?

Natürlich eine ganze Menge! New Work lebt von Eigenverantwortung, von Freiheit und Selbstverantwortung. All dies funktioniert dann besonders gut, wenn man die eigenen Stärken – und auch die der Kollegen kennt und richtig einsetzt:

1. Die Stärken kennen

HR-Abteilungen kennen die Mitarbeiter meist gar nicht wirklich. Und deren Stärken schon gar nicht. Führungskräfte schon eher. Aber so richtig kennen und nutzen das Unternehmen eher nicht. Auch beim Recruiting sollten Unternehmen eher fragen „Was kannst du besonders gut?“ oder „Was bereitet dir Spaß?“. Das kann deutlich zielführender sein als konkret vorzuschreiben, was ein Mitarbeiter können muss. Hier schließt sich der Kreis zu New Work und dem dort verankerten Mantra das zu machen, was man „wirklich, wirklich“ will. Sucht man Mitarbeiter nach Stärken aus, so können aus vermeintlichen Projektmanagern auf einmal super Verkäufer werden. Aus Verkäufern die perfekten Controller. Aus Entwicklern werden Führungspersonen.

2. Stärkenorientiert führen

Beim stärkenorientierten Führen geht es darum, den richtigen Mitarbeiter an der richtigen Stelle die passenden Aufgaben zu geben. Immer auch mit dem Ziel dem Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, die eigenen Stärken zu nutzen und ggf. sogar weiterzuentwickeln.

3. Schulungen nicht als Reparatur von Schwächen nutzen

Das „Wegtrainieren“ vermeintlicher Schwächen durch Schulungen ist im Zweifel oft der falsche Weg. Bemühungen von Personalern, durch Schulungen und Coachings Verhaltensänderungen zu erzielen, werden oft überschätzt. Die Personalentwicklung sollte nicht als Reparaturmaßnahme verstanden werden.

4 Antworten

  1. Matthias von Mitzlaff sagt:

    Hallo Herr Inselmann,
    Im Sommerurlaub las ich „Positive Leadership“ mit PERMA-Ansatz von Markus Ebner.
    Eine nachfolgende Recherche, was es dazu so im Netz gibt, führte mich zu Ihrem Blog. Sehr interessant!
    Zu einer Stelle oben möchte ich schon mal kommentieren:
    Ja, der Gallup-Test (genannt: CliftonStrengths Finder) kostet etwas, circa 50 USD.
    Der Test von viacharacter.org, wo es um 24 Charakterstärken geht, hingegen hat eine Möglichkeit der Gratis-Auswertung (in der abnehmend die wichtigsten Charakterstärken genannt werden, nach Durcharbeiten von 120 Fragen).
    Meine ersten Recherchen im Netz als auch auf amazon.com zum Thema „Stärkenfokussierung“ sind doch arg spärlich. Interessant, dass es dazu scheinbar wenig Veröffentlichtes gibt.
    Welche Webquellen oder Bücher können Sie zu dem Thema empfehlen?
    Herzliche Grüße aus Berlin, Matthias von Mitzlaff

  2. Christoph sagt:

    Wie immer hat Lars, mit dem, was er schreibt recht. Vor Jahren riet mir mein damaliger Chef, auf meine Stärken zu setzen, meine (damals wie heute nicht wenigen) Schwächen zwar zu kennen, ab das reiche auch. Dieses Jahr hatte ich nun die Gelegenheit die Stärken unsere Teams (incl mir) in einer auf den Dan Clifton / Gallup Strenghtfinder basierenden Workshop zu ermitteln und seitdem fördern wir gezielt diese Stärke individuell und als Team. Und nach dem Feedback unserer Kollegen auch sehr erfolgreich.

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